Keinen Alkohol zu trinken, ist ein Trend, der immer mehr Anhänger findet. Was es mit der neuen Nüchternheit auf sich hat – und wie man seine eigenen Trinkgewohnheiten verändern kann. Von Antonia Wemer
Bis zwei Uhr morgens auf einer Party ausgelassen feiern und am nächsten Tag völlig katerfrei zur Arbeit gehen. Mit Freunden einen Abend lang Spaß haben und sich anschließend noch an alle lustigen Momente erinnern.
Eine Lokaltour machen und dann mit gutem Gewissen ins Auto oder aufs Fahrrad steigen. Das wollen immer mehr Menschen – besonders in der jungen Generation. „Sober Curious“ nennt sich die internationale Bewegung, die seit 2019 den Verzicht auf alkoholische Getränke in den Mittelpunkt ihres Lifestyles stellt.
Denn Wein, Bier & Co. eignen sich zwar glänzend als sozialer Schmierstoff, ihre (Nach-)Wirkung lässt sich aber nur schwer mit einem gesundheitsbewussten und nachhaltigen Lebensstil vereinbaren. In Großstädten wie London oder New York gibt es mittlerweile In-Lokale, die nur alkoholfreie Drinks servieren. Und auch hierzulande geht es Richtung Null Promille: In den letzten Jahren ging der Weinkonsum deutlich zurück – während die Nachfrage nach alkoholfreien Weinen stieg.
Ein neues Ersatzprodukt, das sogar zu einem leichten Schwips führen kann, ohne dem menschlichen Organismus zu schaden, ist gerade am Entstehen: Der britische Pharmakologie-Professor David Nutt forscht an einer alternativen Substanz, die ähnlich wirkt wie Alkohol, aber keine negativen Auwirkungen auf die Gesundheit hat und nicht süchtig macht.
Der Wissenschaftler hat bereits 2010 in einer großen Überblicksstudie gezeigt, dass die legale Droge Alkohol wesentlich gefährlicher ist als so manche illegale – vor allem, wenn man alle gesundheitlichen Risiken und Schäden betrachtet, die das Rauschmittel nicht nur bei der konsumierenden Person selbst, sondern auch im Umfeld verursacht. Denn Alkohol verlangsamt die Wahrnehmung und das Reaktionsvermögen, kann zu Enthemmung und verringerter Körperbeherrschung sowie aggressivem Verhalten führen.
Auch die gesundheitlichen Risiken des Alkohols sind beträchtlich. Schließlich handelt es sich dabei um Ethanol – ein Zellgift, das das neurochemische Gleichgewicht des Gehirns verändert. Es gelangt vorwiegend über die Schleimhaut des Dünndarms in den Blutkreislauf, wodurch ihm die meisten Gewebe im Körper und Organe, wie Herz, Leber oder Hirn, ausgesetzt sind.
Unfälle, Herzkreislauferkrankungen, Krebs und Depressionen zählen zu den möglichen Gesundheitsfolgen. Die Alternative, an der David Nutt forscht, soll wie Alkohol entspannen, gesellig machen, leicht berauschen, aber kein Nervengift sein. Gemeinsam mit seinem Team konnte er bereits 50 Moleküle identifizieren, die das GABA-System im Gehirn ansprechen – drei davon sind besonders vielversprechend.
Die Idee ist, dieses synthetische Molekül, das der Wissenschaftler Acarelle getauft hat, dann alkoholfreiem Bier, Gin oder Rum beizumengen. Bis ein Getränk mit Acarelle auf den Markt kommt, kann allerdings noch einige Zeit vergehen. Für alle, die in der Zwischenzeit bereits ihren Alkoholkonsum reduzieren möchten, sind hier einige Tipps, mit denen es leichter gelingen kann, sich von dieser ungesunden Gewohnheit loszusagen:
Abwarten und Tee trinken.
Oder Mineralwasser. Oder Pfirsichsaft. Auf jeden Fall besteht eine gute Methode, den eigenen Alkoholkonsum zu begrenzen, darin, das erste Glas möglichst lange hinaus zu schieben. Wer für sich selbst Trinkregeln wie „nicht vor Sonnenuntergang“ oder „erst nach dem Abendessen“ aufstellt, bleibt zumindest den Großteil des Tages abstinent.
Die Warum-Frage stellen.
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Deshalb trinken viele immer ein Bier zur Belohnung nach der Arbeit, ein Glas Wein zum Essen oder Sekt, wenn es etwas zu feiern gibt. Aber muss das wirklich sein? Kann man sich nicht auch anders etwas Gutes tun, zum Essen ein Glas frisches Gurken-, Zitronen- oder Kräuterwasser genießen und bei festlichen Anlässen mit einem leckeren Mocktail anstoßen? Sobald man seine Trinkgewohnheiten hinterfragt, stellt man oft fest, dass sie nicht in Stein gemeißelt sind.
Nicht durstig trinken.
Vor allem Bier- und Spritzer-Fans gehen leicht in diese Falle: Bei höheren Temperaturen, nach einer Wanderung oder auf Tanzveranstaltungen wird gerne mit einem alkoholischen Getränk der Durst gelöscht. Auch wenn es leichte Alkoholika sind: Die Menge macht’s! Besser ist es daher, die Signale des Körpers richtig deuten zu lernen: Wenn er nach Flüssigkeit schreit, meint er in erster Linie Wasser. Gut, wenn man immer welches in einer Flasche dabei hat.
Kleinere Portionen kaufen.
Wein, Bier und Prosecco halten geöffnet nicht ewig. Schon allein deshalb tendieren viele Leute dazu, eine einmal geöffnete Flasche noch am gleichen Abend auszutrinken. Dabei steigt logischerweise die Alkoholmenge desto weniger Personen mittrinken. Will man sich zu Hause allein oder zu zweit einen Gute-Nacht-Schluck gönnen, empfehlen sich Stifterln und 0,33-Liter-Bierflaschen.
Trinksituationen vermeiden.
An einer Bar sitzen, wo sich alle nur zum Trinken treffen, oder mit Freunden unterwegs sein, die gern Runden ausgeben – das ist eher kontraproduktiv, wenn man auf Alkohol verzichten will. Leichter ist es bei sportlicher Betätigung, in Restaurants, bei Vernissagen, Kino- und Theaterbesuchen oder Spieleabenden.
„Nein“ sagen.
Wenn man nicht trinken will, muss man nicht erklären, warum. Es kann aber manchmal einfacher sein, einen Grund zu nennen – etwa: „Mir schmeckt’s heute nicht“, „Ich will morgen früh raus“ oder „Ich hätte jetzt lieber einen Kaffee“. Zu lügen braucht man allerdings nicht – und entschuldigen muss man sich auf keinen Fall!
Ohne geht nicht?
Wenn Alkohol zur Sucht wird, braucht es mehr als gute Tipps. Gelingt es einem nicht mehr aus eigener Kraft, für ein paar Tage oder Wochen „trocken“ zu bleiben, kann man hier eine Auflistung hilfreicher Adressen finden: verantwortungsvoll.at