Mit Vinotherapie zu mehr Schönheit und Gesundheit: Wie der Rebstock zum Kosmetik-Lieferanten wurde – und was man mit Cabernet & Co. für das eigene Wohlbefinden tun kann. Von Antonia Wemer
Ein Glas Wein pro Tag ist gut fürs Herz“, sagen die einen. „Stimmt gar nicht,“ rufen die anderen. „Wer Wein trinkt, erhöht seinen Blutdruck und schadet seiner Gesundheit!“
Wellness Fans lassen solche Diskussionen so kalt wie einen gut gekühlten Sauvignon Blanc. Denn sie wissen längst: Man muss Wein gar nicht trinken, um in den Genuss seiner wohltuenden Eigenschaften zu kommen. Tatsächlich beschert uns der Weinstock zahlreiche Produkte, die auch äußerlich angewendet werden können – und deren Wirkung zum Teil schon seit Jahrhunderten bekannt ist. Bereits im Mittelalter war Traubenkernöl als Hautpflegemittel in Mode.
Betuchte Damen benutzten es, um ihre Haut weich und geschmeidig zu halten. Auch am Hof des Sonnenkönigs war die erfrischende Wirkung dieses Weintonikums beliebt. Zum Kopfwaschen wiederum wurde in früheren Zeiten gern die Asche von Weinreben zu einer Lauge aufgegossen, mit der man sich die Haare ausspülte. Und nach der Traubenlese schmierten sich die Frauen den Saft auf die Hände, um Pigmentflecken und Falten entgegen zu wirken.
Als der französische Wissenschaftler Serge Renaud Anfang der 1990er Jahre die gesundheitsfördernden und stressmindernden Eigenschaften des in Traubenkernen enthaltenen Polyphenols entdeckte, ebnete er den Weg des Weins in die modernen Wellnesszentren – einen Weg, der nicht zuletzt über das Weingut Château Smith Haut Lafitte führte. Während einer Weinernte begegnete dort die Tochter des Hauses, Mathilde Thomas, einem gewissen Professor Joseph Vercauteren, der Leiter eines Forschungslabors an der pharmazeutischen Fakultät von Bordeaux war.
Von ihm erfuhren Mathilde und deren Ehemann Bertrand, dass die Traubenkerne die leistungsstärksten Antioxidantien aus der Pflanzenwelt enthalten. Durch sie wird die kontinuierliche Zellerneuerung gefördert und die Haut tief mit Feuchtigkeit versorgt. Darüber hinaus sollen sie die Wundheilung beschleunigen und einen antibakteriellen Effekt haben.
Im Jahr 1995 brachten Mathilde und Bertrand eine Linie von Vinothérapie-Hautpflegeprodukten auf den Markt, die aus Inhaltsstoffen der Trauben hergestellt wurden. Sie ließen sich die Extraktion von Traubenkern-Polyphenolen (OPC) für die Verwendung in der Kosmetik patentieren und wurden mit ihrem Unternehmen Caudalie zu Pionieren der heutigen Vinotherapie, die mittlerweile in vielen Wellnesseinrichtungen angeboten wird und zahlreiche Anwendungen umfasst. Hier sind einige der beliebtesten:
Baden in Wein
In Wellnesshotels werden immer häufiger Vollbäder angeboten, in denen man in das Weinmark spezieller Trauben eintaucht, die in ihrer Schale das Antioxidant Resveratrol enthalten. Es schützt die Haut vor Freien Radikalen, stärkt sie und beugt Fältchen vor. Auch der Stoffwechsel soll angeregt werden. Den Bädern wird eine entspannende Wirkung nachgesagt, gleichzeitig verströmen sie einen subtilen Weinduft, der sich zumeist harmonisch mit den Aromen weiterer Bad-Ingredienzien – wie beispielsweise Rosenblättern und Calendula – vermischt.
Wer sich in den eigenen vier Wänden mit Wein-Wellness verwöhnen möchte, kann aber auch zu Hause ein Weinbad einlassen. Es ist für alle Hauttypen geeignet und macht einen samtig-weichen Teint. Für normale und robustere Haut greift man am besten zu Rotwein, bei trockener Haut empfiehlt sich Weißwein als Badezusatz. Eine gutes Mischverhältnis erhält man, wenn man zwei bis drei Liter Wein in die fast volle Wanne gießt. Ideal ist eine Badezeit von zwanzig Minuten. Aber nicht nur Wein, auch der unvergorene Saft der Weintraube hat eine gefäßerweiternde, durchblutungsfördernde und somit straffende Wirkung.
Traubensaftbäder werden gern als Anti-Aging-Mittel und Cellulite-Behandlungen eingesetzt. Man verrührt dazu beispielsweise einen Liter weißen Traubensaft mit einem Liter Milch, fügt ein bis zwei Esslöffel Honig hinzu und gibt das Ganze in das einlaufende Badewasser. Auch hier verbleibt man idealerweise rund 20 Minuten in der Wanne. Die Temperatur sollte 38 Grad nicht überschreiten – sonst badet man nämlich in Glühwein und schadet seinem Kreislauf. Nach dem Bad wird der Körper nur leicht abgetupft.
Fruchtige Hautpflege
Das Fruchtfleisch der Weintraube enthält reichlich wertvolle Fruchtsäuren. Und die wirken keratolytisch, sprich: Sie lösen Verhornungen auf und machen die Haut geschmeidig. Um ihre Wirkung zu nutzen, kann man die Weintrauben pürieren und den Brei für einige Minuten auf raue Hautstellen auflegen. Danach wird er gründlich abgewaschen. Oder man bereitet eine nährende Traubenkernöl-Sheabutterpackung zu, indem man einen Esslöffel reiner Sheabutter mit einigen Tropfen Traubenkernöl verrührt.
Diesen Mix kann man auf Hals- und Dekolleté auftragen und mit einer Folie für zehn Minuten abdecken. In diesem Fall werden verbleibende Reste nicht abgespült, sondern mit sanftem Fingerdruck einmassiert. Am besten wirkt diese Behandlung, wenn man sie nach dem Bad direkt auf der leicht feuchten Haut durchführt. Ebenfalls ein tolles Mittel, besonders bei fettiger Haut, die zu Unreinheiten neigt, ist eine Packung mit Traubenkernöl und Heilerde.
Einfach einige Tropfen Traubenkernöl mit einem Esslöffel Heilerde vermischen und die breiige Masse auf dem Gesicht verteilen. Die Augenpartie wird dabei ausgelassen. Nach fünfzehn Minuten wäscht man das Ganze wieder ab – und freut sich über einen streichelweichen Teint, der zudem auch weniger glänzt und nicht so stark zu Pickeln neigt.
Trauben-Kraft
Für die perfekte Entspannung sorgt eine Kombination aus einer Massage mit Traubenkernöl sowie langsamen, kraftvollen Massagegriffen und Streichungen. Das Öl ist reich an Vitamin E und wertvoller Linolsäure, die der Körper zur Produktion von Ceramiden benötigt. Diese hauteigenen Fette sind für eine intakte Hautbarriere zuständig. Sie schützen vor Umwelteinflüssen, Bakterien, Viren, Pilzen und Feuchtigkeitsverlust und beugen trockener sowie vorzeitig alternder Haut vor.
Traubenkernöl zieht im Gegensatz zu vielen anderen Ölen sehr schnell ein und hinterlässt keinen Film auf Haut und Haaren. Daher ist es auch für fettige Haut geeignet. Traubenkernöl ist beliebt als Basisöl für ätherische Öle und für die Herstellung von Naturkosmetik. Als Massageöl kann es sowohl für Körper- als auch für Gesichtsmassagen verwendet werden. Bei der Massage am Körper wird das Öl leicht erwärmt und in einer kreisenden Bewegung in die jeweiligen Hautpartien einmassiert. Reife Haut erscheint anschließend straffer, junge Problemhaut wird auf sanfte Weise beruhigt und gestärkt.
Der Hauttyp spielt dabei keine Rolle, denn Traubenkernöl ist ein „Allrounder“: Es verwöhnt trockene Haut mit viel Feuchtigkeit und sorgt bei fettiger für eine Regulierung der Talgproduktion. Ähnliches gilt übrigens für die Haarpflege mit Traubenkernöl: Es ist nahezu bei jedem Haartyp hilfreich. Nutzt man es regelmäßig, wird Spliss deutlich reduziert und das Haar intensiv mit Feuchtigkeit versorgt, ohne es zu beschweren. Die Folge: Nach einiger Zeit wirken die Haare geschmeidiger und erstrahlen in neuem Glanz.
Kerniges Peeling
Ein wunderbares Hautgefühl verspricht ein Ganzkörperpeeling mit zerdrückten Traubenkernen. Es beseitigt sanft abgestorbene Hautzellen, reduziert kleine Unebenheiten und nährt gleichzeitig die Haut, die anschließend in der Lage ist, Cremen besser aufzunehmen. Für Peelings wird Traubenkernöl häufig mit Honig oder anderen hautfreundlichen Inhaltsstoffen kombiniert. Wer es lieber ganz puristisch mag, kann aber auch einfach eine Handvoll Bio-Traubenkerne mit einem Mörser zerkleinern, einen Esslöffel Öl und einen Esslöffel grobes Salz dazugeben – und diesen Mix mit den Fingerspitzen kreisend in die Haut einmassieren. Die Haut sagt dann „Prost!“ – und „Danke!“.