Ängste gehören zum Leben dazu. Wenn sie allerdings überhandnehmen und der Leidensdruck zu groß wird, ist Handeln gefragt. Von Mag. Monika Kotasek-Rissel
Ängste helfen uns seit jeher dabei, gefährliche Situationen zu meiden und unbeschadet durchs Leben zu gehen. Manchmal werden sie jedoch so stark, dass sie unseren Alltag einschränken. Wenn Ängste krankhaft werden, spricht man von Angststörungen oder Phobien.
Es ist daher wenig überraschend, dass es biologisch und genetisch eine Basis für Ängstlichkeit gibt. Für die Entwicklung einer Störung spielen die genetische Vulnerabilität (Verletzlichkeit) und Lernmechanismen eine Rolle. Bei der Entwicklung einer Angststörung zeigt sich meist eine Kombination aus diesen Faktoren.
Rund 10 Prozent der Österreicher haben spezifische Phobien
Grundsätzlich kann fast jedes Objekt oder jede Situation Auslöser für starke Angst oder eine Phobie sein. „Fast jeder zweite Österreicher leidet an irgendeiner Angst, die aber nicht behandelt werden muss. Ungefähr jeder Vierte davon, also etwa 8–12 Prozent, erkrankt an einer sogenannten spezifischen Phobie. Frauen sind fast doppelt so häufig betroffen wie Männer“, berichtet Mag. Dr. Julia Türkmen-Horn, Klinische- und Gesundheitspsychologin sowie Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie) in Wien. Mittlerweile gibt es bereits über 400 dokumentierte spezifische Phobien.
„In diesen Fällen lösen bestimmte Objekte (etwa Tiere, Spritzen, Blut) oder Situationen (z. B. Flüge, große Höhe) übermäßig starke Reaktionen wie Zittern oder Herzrasen aus“, erklärt die Expertin. „Wir unterscheiden zudem zwischen dem Tiertyp (übersteigerte Angst vor Hunden, Spinnen, Schlangen etc.), dem Naturgewalttyp (Furcht vor Gewitter, Sturm, Wasser usw.), dem situativen Typ (Angst vor Tunneln, Brücken) und dem Blut-Spritzen-Verletzungstyp (Angst vor Anblick von Blut, Verletzungen und/oder Spritzen). Die letzte und fünfte Kategorie umfasst alle anderen Ängste, die sogenannten ,anderen Phobien’.“
Erstes Auftreten in der Kindheit
Spezifische Phobien, darunter auch ungewöhnliche, entwickeln sich im Allgemeinen bereits in der Kindheit und treten um das zehnte Lebensjahr erstmals in Erscheinung. Tierphobien zeigen sich eher früher, situationale oder Blutphobien etwas später. Von den Personen, die unter einer spezifischen Phobie leiden, hat fast die Hälfte eine weitere Diagnose aus dem Bereich der Angststörungen – oft sind diese Auslöser, dass eine Behandlung angestrebt wird.
„Viele Psychologen, einschließlich ich, sehen in ihrer Praxis eher die typischen spezifischen Phobien, wie Spinnen- oder Blutphobien. Meist auch im Kontext anderer psychischer Erkrankungen (wie erwähnt), für die der Psychologe ursprünglich aufgesucht wurde. Die spezifischen Phobien werden dann erst im Laufe der Therapie Thema“, erläutert Dr. Türkmen-Horn. Nur, wenn eine spezifische Phobie großen Leidensdruck auslöst oder bestimmte Situationen nicht mehr vermieden werden können, wird gezielt dafür eine Therapie aufgesucht.
Typische Folge der krankhaften Angst ist ein starkes Vermeidungsverhalten: Man will nicht auf das Objekt treffen oder in die gefürchtete Situation geraten. Kommt es dennoch dazu (es reicht gedanklich!), wird das sympathische Nervensystem erregt und Stresshormone wie Adrenalin oder Noradrenalin ausgeschüttet. Aufgrund dessen treten starke Symptome wie Zittern, Schwitzen und Herzrasen auf. Häufig lässt sich auch ein Anstieg der Puls- und Atemfrequenz sowie des Blutdrucks beobachten. Diese Anzeichen bleiben aber auf das Objekt oder die Situation beschränkt. Durch die Furcht oder die Konsequenzen des Vermeidungsverhaltens entsteht zudem eine große emotionale Belastung.
Ist der Alltag nicht zu schaffen, hilft Therapie
„Eine Therapie bei einem Psychologen, Psychotherapeuten oder Psychiater wäre dann angesagt, wenn der Leidensdruck sehr groß, ein Vermeidungsverhalten nicht (mehr) möglich und die Bewältigung des Alltags eingeschränkt oder sogar unmöglich ist“, klärt Dr. Türkmen-Horn auf. Eine Behandlungsform stellt die sogenannte Verhaltenstherapie dar.
„Das Ziel dabei ist, Techniken zu erlernen, mit denen man Symptome so bewältigen kann, dass das Leben nicht mehr von der Furcht bestimmt oder dominiert wird. Dabei spielt die Vermittlung von Wissen eine wichtige Rolle, um zu verstehen, wie es zu den Angstreaktionen kommt und zu lernen, Gefahren realistisch einzuschätzen. Auch die (angeleitete und vorbereitete) Konfrontation mit dem Objekt oder der Situation real oder nur in Gedanken ist ein zentraler Faktor, um einen Abbau der emotionalen und körperlichen Reaktion erleben zu können“, fasst die Psychologin und Psychotherapeutin zusammen. Parallel dazu ist weiters eine pharmakologische Behandlung (Medikamente) möglich.
Beispiele für ungewöhnliche Phobien: · Sesquipedalophobie:
Darunter wird die Furcht vor langen Wörtern verstanden. Betroffene versuchen das (Vor)Lesen, Schreiben und sonstige Verwenden von langen Begriffen zu vermeiden. Sie haben zum Beispiel Bedenken, dass sie das Wort falsch betonen oder sich versprechen. Typischerweise versuchen Phobiker die angstauslösende Situation möglichst zu umgehen, was zu Problemen am Arbeitsplatz oder in der Ausbildung führen kann. Für dieses Leiden wird umgangssprachlich auch der fast unaussprechliche und selbst sehr lange Begriff „Hippopotomonstrosesquippedaliophobie“ – ein ironisch gemeintes Kunstwort – verwendet.
· Ablutophobie:
Während ein Bad für die meisten entspannend ist, kann es für andere eine Qual sein. Unter der sogenannten Ablutophobie bezeichnet man nämlich die irrationale Angst, sich zu baden bzw. waschen. Bereits der Anblick von Seife, Schwämmen, Handtüchern oder anderen Dingen, die damit in Verbindung gebracht werden, führt mitunter zu Angstzuständen. Neben Schwitzen, beschleunigter Atmung und Zittern, sind auch besondere Verhaltensweisen typisch: Betroffene verwenden oft viel Parfum und meiden den Kontakt zu anderen Menschen.
Manche kauen exzessiv Kaugummi. Komplikationen treten auf sozialer und zwischenmenschlicher, aber auch gesundheitlicher Ebene auf, da mangelnde Sauberkeit die Verbreitung von Krankheitserregern fördert. Betroffene haben daher meist ein erhöhtes Risiko für Infektionen, Verdauungsprobleme etc. Die Ursache für die Phobie kann etwa ein Trauma sein, das durch einen eigenen Unfall hervorgerufen wurde oder auf die Erfahrung einer anderen Person zurückzuführen sein, z. B. wenn man einen schweren Sturz in der Badewanne beobachtet hat.
· Coulrophobie:
Die Gründe für Coulrophobie, der krankhaften Angst vor Clowns, können vielfältig sein. Die häufigsten beziehen sich jedoch auf ihr Erscheinungsbild und hängen mit ihrem unberechenbaren Auftreten, ihrer Maskierung, dem meist weiß geschminkten Gesicht und der dadurch eingefrorenen Mimik zusammen. Die Furcht davor wurzelt tief: Sind die Gesichtszüge des Gegenübers erstarrt, fühlen wir uns unbehaglich.
Babys bekommen Angst und fangen an zu weinen, wie eine US-amerikanische Studie gezeigt hat: Sobald Mütter nach einer Zeit des Nicht-Reagierens ein Lächeln aufsetzten, hörten die Säuglinge auf zu weinen. Übrigens: Indem Clowns als lustige Wesen zum Beispiel in Kinderkrankenhäusern oder kindgerecht in Filmen auftreten, kann einer Coulrophobie vorgebeugt werden.
· Trypophobie:
Empfinden Sie Furcht und Ekel beim Anblick einer Lotussamenkapsel oder von Bienenwaben und Schwämmen? Dann leiden Sie vielleicht unter Trypophobie. Betroffene verspüren Angst und Ekel vor kleinen, unregelmäßig angeordneten Löchern. Die Symptome können ganz unterschiedlich sein und reichen von starkem Ekel, Übelkeit, Gänsehaut über Schwindelgefühl bis hin zu einem unangenehmen Kribbeln auf der Haut.
Doch nicht nur Löcher lösen das Ekelgefühl aus. Manche Menschen berichten auch, dass sie Probleme mit Rissen, Beulen oder kleinen Luftblasen (wie beim Milchschaum) haben. Die Angst vor Löchern liegt, Forschern zufolge, vermutlich in unserer Evolution begründet: Anordnung und Struktur der Löcher ähneln oft denen von giftigen Tieren. Zudem deutet der Anblick von Löchern in Obst oder Fleisch auf Insekten- oder Parasitenbefall hin und warnt uns so davor, dieses Lebensmittel zu verzehren.
· Gephyrophobie:
Menschen mit Gephyrophobie haben Angst vor dem Überqueren von Brücken. Betroffene fürchten sich dabei von der Brücke zu fahren, durch eine Windböe vom Bauwerk geweht zu werden oder, dass die Brücke beim Überqueren zusammenbricht. Manchmal löst bereits der Anblick oder das Betrachten von Bildern Furcht aus. Die Angst überschneidet sich mit der Akrophobie (Höhenangst).
· Eisoptrophobie:
Jeder kennt Tage, an denen man sich nicht gerne im Spiegel ansieht, weil man Augenringe, Pickel oder andere Schwachstellen entdeckt. Menschen, die unter einer „Eisoptrophobie“ leiden, haben allerdings irrationale Angst vor Spiegeln, dem eigenen Spiegelbild oder davor, in einen Spiegel zu schauen. Manche fürchten auch, ihn zu zerbrechen und fortan Pech zu haben.
Auslöser können unter anderem traumatische Erlebnisse mit Spiegeln in der Kindheit oder Jugend sein, etwa Horrorfilme, in denen Spiegel als Spannungs- oder Angstelement vorkommen. Auch Eisoptrophobie kann schwere Ängste und Vermeidungsverhalten hervorrufen, sodass es für Betroffene schwierig wird, alltägliche Situationen zu meistern, in denen Spiegel vorhanden sind.
· Pentheraphobie:
Sie wird von vielen geliebt, von anderen gehasst: Die Schwiegermutter. „Pentheraphobiker“ spüren jedoch eine übersteigerte Angst vor ihr in sich. Jeder angekündigte Besuch wird zur „Hölle“, Treffen so gut wie möglich vermieden. Der Betroffene entwickelt Panik, sobald er sie hört, sieht oder ihr gegenübersteht. Allein der Gedanke daran, die Schwiegermutter zu sehen, löst erheblichen Druck aus. Dahinter kann sich die Befürchtung vor Ablehnung oder das Gefühl „nicht gut genug zu sein“ verbergen. Oft wirkt sich diese Phobie negativ auf die Beziehung zum eigenen Partner aus, da soziale Interaktionen stark eingeschränkt sind.
· Paraskavedekatriaphobie:
Normalerweise ist die Angst vor Freitag, dem 13., und damit verbundenen Unglücksfällen ein Aberglaube. Bereits die Zahl 13 ist oft mit Unbehagen verbunden. Daher gibt es in manchen Hochhäusern keinen 13. Stock, in einigen Hotels kein Zimmer mit dieser Nummer und bei manchen Wagennummerierungen im Bahnverkehr wird sie übersprungen. Fällt ein Freitag auf einen 13., wird das als besonders unheilvolle Konstellation angesehen.
Die meisten empfinden an einem solchen Tag aber wohl nur ein leichtes Unbehagen (wenn überhaupt) und gehen ihren normalen Beschäftigungen nach. Einige entwickeln jedoch eine pathologisch gesteigerte Furcht, dann spricht man von „Paraskavedekatriaphobie“. In schweren Fällen trauen sich die Betroffenen an diesen Tagen gar nicht aus dem Bett. Termine, Reisen oder soziale Aktivitäten werden abgesagt. Da es aber nur ein paar Mal pro Jahr einen Freitag, den 13., gibt, kommt es zumeist nicht zu einer sozialen Isolation der Patienten.
· Chionophobie:
Während sich Wintersportler über die weiße Pracht freuen, bedeutet Schnee für Menschen mit Chionophobie (Schneephobie) nichts Gutes. Sie leiden unter schweren Angstzuständen, wenn sie lediglich an Schneefall denken oder ihn sehen. Zu den häufigsten Symptomen zählt die Angst, den Verstand zu verlieren, lebendig im Tiefschnee begraben zu sein, verletzt zu werden oder zu erfrieren. Manche Betroffene bleiben in geschlossenen Räumen, wenn es schneit. Andere versuchen sogar, in wärmere Gegenden umzuziehen.
Als mögliche Ursache kommt ein traumatisches Erlebnis in Zusammenhang mit Schnee infrage, beispielsweise ein Unfall auf vereister oder schneebedeckter Straße oder ein Lawinenunglück. Das Gehirn assoziiert dann Schnee mit Gefahr und löst eine übertriebene Angstreaktion aus. Die „Chionophobie“ könnte aber auch symbolisch für Beziehungs- oder Gefühlskälte stehen, der der Betroffene ausgesetzt ist oder die er selbst in sich trägt.
· Kathisophobie:
Die „Kathisophobie“ hat nichts mit einer Frau namens Kathi zu tun, sondern stammt aus dem Altgriechischen (cathis-, cathiso-= sitzen). Diese bezeichnet die krankhaft übersteigerte Angst, sich zu setzen und längere Zeit still sitzen zu müssen. Manche fürchten auch, sich schmutzig zu machen oder nicht schnell genug aus dem Sitzen flüchten zu können, falls sie müssten. Innere Unruhe, Schlafstörungen und Schweißausbrüche sind typische Begleitsymptome. Die Angst stammt mitunter aus der eigenen Schulzeit oder von Strafen der Eltern. Wer nicht lange ruhig sitzen kann, muss manchmal mit Auswirkungen auf seine berufliche Karriere rechnen.
· Xanthophobie:
Die „Xanthophobie“ bezeichnet die irrationale Angst vor der Farbe Gelb (xhantos, griech., für gelb). Egal, ob Kleidungsstück, Dekogegenstand, Wandfarbe oder Obst: Betroffene vermeiden Gelb, da es beängstigend auf sie wirkt. Sogar der Gedanke, der Farbe zu begegnen, bereitet ihnen Angst („Hoffentlich sehe ich unterwegs keine gelben Autos oder Fahrräder“).
Sie empfinden Gelb als Farbe des Unglücks („wenn ich den gelben Pulli zur Prüfung anziehe, werde ich sie nicht schaffen“). Mögliche Ursachen: Gelb bedeutet oft „Achtung“, z.B. an der Ampel, vor Hornissen etc. Aber auch der Zusammenhang mit dem Aberglauben ist offensichtlich, denn diese grelle Farbe bedeutet oft Unglück. Traumatische Ereignisse, bei denen Gelb eine Rolle gespielt hat, können ebenso zu einer extremen Abneigung und Panik davor führen.
Gibt es Trigger, wodurch die jeweilige Phobie vermehrt auftritt?
Mag. Dr. Julia Türkmen-Horn, Klinische- und Gesundheitspsychologin sowie Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie) in Wien: „Je mehr eine Person mit dem Objekt/mit der Situation konfrontiert werden könnte, desto häufiger kann es zu einer Angstreaktion kommen. So spielt zum Beispiel die Schlangenphobie in jenen Teilen der Welt eine größere Rolle, in denen die Wahrscheinlichkeit größer ist, diesem Tier zu begegnen. Allgemein kann auch Stressbelastung dazu führen, dass Angstreaktionen häufiger auftreten.“